Warum „Ich hab nichts zu verbergen“ für alle gefährlich ist

Kevin Woblick
4 min readMay 23, 2018

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Seit den Enthüllungen von Snowden debattiert man um das Thema Privatsphäre und Datenschutz so stark wie noch nie zuvor. Dabei kristallisieren sich drei Parteien heraus, von denen eine mir nur all zu bekannt ist. Neben denen, die sich für Privatsphäre einsetzen und denen, die für mehr Überwachung sind, gibt es noch die Gruppe der „Ich hab nichts zu verbergen“-Typen. Diese Gruppe ist wohl in der Deutschen Bevölkerung am meisten vertreten; den meisten ist es egal, ob noch mehr Überwachungskameras installiert und mehr Telefongespräche aufgezeichnet werden, denn sie haben doch nichts, was die Politik oder die Polizei interessieren könnte.

Warum diese Einstellung für alle gefährlich ist

Snowden selber hat die wohl beste Erklärung hierzu geliefert:

Arguing that you don’t care about the right to privacy because you have nothing to hide is no different than saying you don’t care about free speech because you have nothing to say.
— Edward Snowden

was sinnhaft übersetzt so viel heißt wie

Wenn du damit argumentierst, kein Interesse an deiner Privatsphäre zu haben weil du nichts zu verbergen hast, ist dies das selbe wie zu sagen, dass dir die Meinungsfreiheit egal ist weil du keine Meinung hast.

Dieses Zitat ist der Ausgangspunkt für eine Diskussion, die die Zukunft der Demokratie bestimmen wird. Viele sind bereits der Meinung, dass wir eh in keiner Demokratie mehr leben. Dennoch handelt es sich rein rechtlich gesehen um eine Regierung des Volkes und immer wieder zeigt die Bevölkerung, dass ihre Meinung als Mehrheit vertreten und mitunter wichtige Entscheidungen kippen kann. Sei es die Zurücknahme der DSL-Drosselung der Telekom oder die Volksabstimmung zur Bebauung des Tempelhofer Feldes.

Untergang der Demokratie mit dem Verlust der Privatsphäre

Entscheidet sich die Mehrheit der Bevölkerung eines Landes dazu, sich — frei nach dem genannten Motto — lediglich einer Stimme zu enthalten, bedeutet dies den Untergang der Demokrtie. Wie schnell oder wie langsam und auf welche Weise spielt hier überhaupt keine Rolle.
Ein Volk versteht sich nämlich nicht als eine einheitliche Masse sondern als Menge vieler Individuen. Wenn der Großteil der Meinung ist, keine Privatsphäre mehr haben zu müssen, wird diese auch abgeschafft, um die Interessen von Politik und Wirtschaft verfolgen zu können.

Doch was ist mit denen, die ihre Privatsphäre schützen wollen? Sie gehen dann in der Menge unter und verlieren ein Recht, dass sie bis vor kurzem noch hatten. Da dies dann so super geklappt hat, wird das nächste Grundrecht angegriffen: Eine Meinung lässt sich recht einfach zensieren. Warum erlässt man dann also kein Gesetz das es einem verbietet, öffentlich eine kontroverse Meinung zu vertreten? Was geschieht dann?

Man beginnt spätestens dann, anders über folgende Dinge nachzudenken:

  • Unterhaltungen — Man behält bestimmte, vielleicht zu kontoverse Informationen lieber für sich um zu vermeiden, dass sich das Aussprechen nachteilig für einen auswirkt.
  • Versammlungen / öffentliche Treffen — Ähnlich wie bei Unterhaltungen wird man sich zwei Mal überlegen, ob man zu einer bestimmten Versammlung geht, an einer Demo teilnimmt oder diese sogar organisiert.
  • Sich beteiligen — Es könnte potenzielle Nachteile für einen haben, sich zum Beispiel in bestimmten sozialen Projekten zu engagieren.

Und diejenigen, die sich dennoch für eben solche fragwürdigen Sachen engagieren, geraten in das Kreuzfeuer von Wirtschaft, Medien, Politik und nicht zuletzt auch dem Rest der Bevölkerung. Denn diesem wird vorgegaukelt, es handle sich bei solchen Personen um gefährliche Individuen.
Wie würdest du dich fühlen, wenn du mit deiner Einstellung oder Meinung von einem auf den anderen Tag deinen Nachbarn, die Kassiererin, den Busfahrer und 40 Arbeitskollegen einschließlich Chef gegen dich hast?

Was man für seine Privatsphäre tun kann

Von jedem zu fordern, er solle jetzt in den Krieg gegen die Totalüberwachung zu ziehen macht wenig Sinn, denn nur die wenigsten Menschen fühlen sich bei diesem Thema so sehr aus der Komfortzone gerissen, dass sie gleich demonstrieren gehen würden.
Viel wichtiger ist es, dass sich die grundsätzliche Einstellung zum Thema Privatsphäre ändert. Aus einem „ich habe nichts zu verbergen“ sollte mindestens ein „ich habe nichts zu verbergen, aber sie ist trotzdem wichtig für uns“ werden. Denn wir sind ein Volk. Entscheidungen der Mehrheit betreffen alle, unabhängig davon welche Meinung Minderheiten vertreten. Es wird überall davon geredet man solle sozial sein und sich für andere einsetzen. Dann sollte man dies auch in Bezug auf dieses Thema tun. Und es ist nicht schwer in einer Diskussion die Meinung zu vertreten, dass die Abschaffung der Privatsphäre schädlich für uns alle ist. Also vertritt auch du sie.

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlich auf Kovah.me

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